142 Von der Gesandtschaft erscheinen V/ickel und Bachmann.1) Die Herren schlagen vor, dass wir auch das Kolonialministerium bearbeiten. Unsere Krafte reichen dafür nicht aus. Wir schlagen vor, besondere Beamte dafiir anzufordern. Einstweilen erhalt ein Kamerad den Auftrag, zur Sicherstellung des Gebaudes. Der Kommandofiihrer disponiert bereits weiter. Er setzt einen Kameraden in Richtung Briissel an, der den Weg erkunden und Verbindung mit den anderen Kameraden aufnehmen soil. Die Vorbereitungen fiir den Start werden getroffen. Inzwischen ist der, die Spur der Hollandischen Regierung verfolgende Kamerad zurückgekehrt. Er hat durch Vernehmungen des Vertreters des geflüchteten Justizministers des Haager Oberstaatanwalts und Kriminalbeamten festgestellt dass sie liber die Flucht der Königin erst durch Presse und Rundfunk erfuhren. Der Kriminalbeamte vom persönlichen Dienst der Königin erklarte, dass die Königin in Begleitung mehrerer Offiziere und zweier Sicherheitsinspektoren am 13. Mai um 9.15 Uhr vom Schloss in Richtung Hoek van Holland gefahren sei. Dort wurde festgestellt, dass die Köngin in der Festung Hoek van Holland mit ihren Ministern konferierte und sich gegen 15 Uhr mit ihrer Begleitung an Bord eines englischen Torpedobootes begab, das sofort in Begleitung englischer Kriegsschiffe und einiger hollandischer Einheiten den Haf en verliess. Uberall war die Bevölkerung auf das tiefste enttauscht über das Verhalten der Königin, die tags zuvor noch erklarte, ihr Land nie zu verlassen. Im Kellergeschoss des Aussenamtes ist grosser Larm. Der Schlosser hat den grossen Geheimtresor geöffnet. Wir gelangen in ein grosses unversehrtes Archiv, in dem die Originale der hollandischen Staatsvertrage aufbewahrt sind. Sie werden sogleich sorgfaltig verladen. Auch eine Menge Gepack ist da, der Inhalt zwar wertvoll, aber politisch ohne Interesse. In der Eingangshalle unter dem Treppenabsatz stehen auch noch drei Koffer. Es hat sich noch niemand mit ihnen beschaftigt. Endlich ist es so weit und das Ergebnis ist höchst inter essant. Die Koffer gehören dem Hollandischen Aussenminister, dem Kolonial- minister und dem französischen General Lascroux. Schon diese zusammenstel- lung gibt zu denken. Was tut der französische General, ein Divisionar aus dem Elsass, beim Herrn Aussenminister Van Kleffens? Er hat interessante Papiere bei sich: Privatbriefe, Instruktionsbroschüren, persönliche Aufzeichnungen über Taktik gegen deutsche Verteidigungsanlagen, geheime Broschüre über den Aufbau des französischen Heeres. Bericht über einen Artillerielehrgang im Camp de Mailly vom 19.—27. Marz 1940. Berichte über ein Gefecht bei Ut- weiler vom 10. Marz 1940, Erfahrungsberichte der Artillerie, Vorschriften über Angriffstaktik, eigene Aufzeichnungen über Taktik, Kartenmaterial und um- fangreiches Material über die Organisation der deutschen Befestigungsanlagen. In seinem Divisionsabschnitt kennt er demnach jede Stellung unseres Westwalls, nicht nur die Grundrisse und Aufrisse unserer Werke, Bunker Mg-Nester, sondern auch jede unterirdische Kabelleitung, die in seine Karten eingezeichnet sind. Das Gepack des Kolonialministers enthielt nichts besonderes. Aber Kleffens hatte sein Tagebuch vergessen.2) Es war bis zum 27. April geführt. Man konnte daraus ersehen, wie sehr man ihn von allen Seiten bedrangt hatte bis er die Hilfe der Alliierten anrief. Zweifellos hat Holland bewusst auf den Krieg mit Holland3) hingearbeitet. 1) P. Bachmann, attaché bij het Duitse Gezantschap. 2) Dit is niet teruggevonden. s) Dit moet Deutschland zijn. 143 In Kleffens Bürorock finden wir einen kleinen Zettel in Oktav-Format. Wir trauen unseren Augen nicht, als wir lesen: „Berlin (Geheimchiffer telefonisch mitgeteilt). Dem Vertrauensmann des Militarattachés zufolge soli die Offensive am Freitag-Morgen in den Morgenstunden beginnen. Dieser Bericht ist als unbedingt zuverlassig anzusehen. Haersma de Vith 33' Diese Paraphrase bietet also nahere Anhaltspunkte über den Verrater unserer Offensive. Wenn man schnell ist, kann man vielleicht noch den Militarattaché oder seine Vertrauens- leute in Deutschland fassen. Der Kommandoführer entschliesst sich daher, sofort einen Kurier in das Hauptquartier des Reichsaussenministers mit dem Gepack von Kleffens und Lascroux zu entsenden. Es dauert bis 5 Uhr in der Früh, bis wir die Unterlagen geordnet haben und dann startet der Kurier.1) Inzwischen ist das ganze Aussenamt durchgearbeitet, die Akten sind in Post- sacken verladen und auf 5 LKW verpackt. Die Nacht wurde durchgearbeitet. Früh um 6 haben wir endlich den Funkbericht für Berlin fertig. Leider kann die Gesandtschaft das Telegramm, das chiffriert werden muss, nicht erledigen, weil das Chiffriermaterial verbrannt worden war und neues noch nicht einge- troffen ist. Wir müssen daher unsere Meldung als Brieftelegramm mit Kurier absenden. Wir berichten, dass fast nur Akten aus 1939 und 1940 nach Berlin gelangen, dazu samtliches Material aus den Raumen der politischen Abteilungen, sowie das vollstandige Archiv der Ratifikationsurkunden von Staatsvertragen. Ein Verzeichnis der wahrscheinlich vernichteten Aktenbande ist angefertigt.2) Zahlreicher neuester Schriftverkehr wurde vorgefunden, weil in der Hast nicht abgelegt worden war. Wir haben zweiffellos einen durchschlagenden Erfolg erzielt. Jetzt ist es Zeit, dass der in Richtung Brüssel angesetzte Kamerad startet. Er soil die erste Meldung beim AOK in Tilburg hinterlassen. Die letzten Haager Akten werden in Ledertaschen verpackt und in einem Postsack versiegelt. Es sind insgesamt 100 Postsacke mit gewöhnlichem Inhalt und 38 Postsacke mit uns besonders wichtig erscheinenden Akten. Ein Kamerad erledigt noch das in der Nahe des Aussenministerium liegende Reichsarchiv. Die dort beschaftigten Hollander sind reichlich unfreundlich. Es bedarf eines ernsthaften Hinweises bei der Archivdirektion, bis wir die not- wendigen Auskünfte erhalten .Dann allerdings geht es glatt. Der Direktor bringt selbst ein Aktenverzeichnis an und wir können uns überzeugen, dass das Archiv tatsachlich nur historische Akten beherbergt und alles aktuelle aus den Minis- terien an Ort und Stelle verblieben und dort zu suchen ist. Unsere Tatigkeit in Den Haag ist beendet. Am 18. in der Früh wird Herr Wickel gebeten, mittags das Gebaude zu übernehmen. Ein Kamerad soil noch zurückbleiben, um die Akten ds Kolonialministeriums sicherzustellen Bei der Übergabe des Aussenministeriums, die von 14 bis 17 Uhr stattfindet, ist die Gesandtschaft durch Wickel und zwei Beamte vertreten. Drei Kameraden des Kommandos führen die Herren durch das ganze Haus. Die Schlüssel zum Kellertresor werden ihnen mit samtlichen Gepackstücken übergeben. Die Ver- 1) 19 mei te 9.30 u. is deze koerier in Berlijn aangekomen en heeft hij ze aan Von Moltke overhandigd (foto R.v.O. No. 402'213767). N.B. In het archief van het Auswartige Amt bevind zich het betreffende brieftelegram van Von Künsberg van 18 mei en telegr. 46 van 18/19 mei van Von Zech uit Den Haag (zie doss. 153.41, ag.no. 91227 van 23-VI-l961 2) Deze lijst is aanwezig (foto R.v.O. D 51123940).

Periodiekviewer Koninklijke Vereniging van Archivarissen

Nederlandsch Archievenblad | 1962 | | pagina 6