228 volle Stücke vom Untergange zu retten und sie der Foschung zu erhalten. Denjenigen, die das wissenschaftliche Rettungswerk auf diese oder jene Weise vollbrachten, muss man aufrichtigen Dank wissen. Man mag somit bei der zukünftigen Regelung solcher Falie nicht allzu radikal verfahren. Auf Einzelheiten, wie dabei zu verfahren sei, hier naher einzugehen, dürfte zu weit führen. Es mag genügen, mich hier auf die einschlagigen Abschnitte des Werkes von Eugenio Casanova über Archivwissenschaft(/4/c/?/v/sf/ca. Siena 1928. S. 360 370) zu beziehen. Casanoya nimmt dort in der Frage des staatlichen Anspruchs auf Wiedererlangung (rivendicazione) von entfremdeten Archivalien einen vermittelnden, an klassische Muster des XVI Jahr- hunderts angelehnten Standpunkt ein. Vielleicht köntte man ihn zukünftig auch in Polen sich zur Richtschnur nehmen. Insofern sich die in der Vergangenheit verstreuten polnischen Archivalien bei verschiedenen staatlichen Instituten befinden, können sie ohne Schwierigkeit in den ihnen jeweilig zukommenden Staatsarchiven vereinigt werden. Die Zusammenlegung miisste jedoch zu allererst mit der Regelung dieser Verhaltnisse von einem polnischen Archiv zum anderen beginnen. Denn in Anschluss an die von den Teilungsmachten einst festgesetzten neuen Grenzlinien sind wiederholt zusammengehörige Aktenreihen auseinandergebracht und Teilstücke daraus auf amtlichem Befehl verschiedenen Archivstellen zugewandt worden. In gleicher Weise wie die Bibliotheken ihre staatlichen Archi valien an die Archive abliefern, müssten andererseits auch Archive die etwa bei ihnen aufbewahrten Manuskripte, soweit sie ihrer Eigenart nach in die Handschriften-Abteilungen der Bibliotheken gehören, diesen ausantworten. Das ganze Verfahren dürfte aber selbstverstandlich private, unter Wahrung des Eigentumsrechts in staatlichen Sammlungen deponierte Archivalien und Handschriften nicht berühren, da in diesem Falie der Wille des deponierenden Eigentümers allein massgebend ist. 5. Verluste an polnischen Archivalien. Mit dem Unter gange des altpolnischen Staates wurden die wertvollsten archiva- lischen Bestande, so wie auch wissenschaftliche Handschriften aus- serhalb des Landes, namentlich aber nach Russland verbracht und so der Benutzung heimischer Gelehrten entrückt. Eine Menge von Stücken ging schon wahrend des Transports nach dem Osten ganzlich oder zum Teil zugrunde, eine Tatsache, die auch bei dem Weg transport von Akten zur Zeit des Weltkrieges ein vom Standpunkte der Wissenschaft beklagenswertes Nachspiel hatte. Bereits im XVII und zu Anfang des XVIII Jahrhunderts erlitten zur Zeit der Schweden- 229 kriege die polnischen Archive und Bibliotheken erhebliche Verluste. Damals sind grosse Mengen Wagenladungen von Archivalien, Hand schriften und Büchern über Stettin und andere baltische Hafen nach verschiedene schwedischen Sammlungen weggebracht worden. Ob der Vorgang mit einem angemessenen wissenschaftlichen Nutzen für die Schweden verbunden war, ist auch vom Standpunkt des selbst- genügsamen und in jeder Beziehung so hoch stehenden Volkes wohl zu bezweifeln. Die angeführten Ubelstande haben die wissenschaftlichen For- schungen der polnischen Gelehrten zwar wesentlich erschwert, aber doch nicht unmöglich gemacht. Die polnische Historiographie liess trotzdem den Faden wissenschaftlicher Studiën in den Archiven nicht ganz abreissen und belebte in steigendem Maase den Fortgang histo- rischer Untersuchungen. Dies war jedoch nur durchzuführen durch haufige archivalischeForschungsreisen nach auslandische Archivzentren. Obwohl die mit dem Verlust der Unabhangikeit des Reiches eingetretene Einbusse an archivalischen und handscnriftlichen Schatzen niemals mehr gutzumachen ist, so scheint es doch, dass die bisher erfolgte, wenn auch nur teiiweise Abgabe durch Sowietrussland die archivalische Notlage, allerdings nur in einem geringen Grade, ge- mildert hat. 6. Archivalische Auseinandersetzung mit den ein- stigen Teilung smachten. Die allerschwierigste Aufgabe, die der neu ins Leben gerufenen polnischen Archivverwaltung entge- gentrat, war die archivalische Auseinandersetzung mit den drei Staaten, die zu Ende des XVIII Jahrhunderts die Teilungen Polens her- beigeführt haben. Zur Erlauterung dessen, wie unberechenbar schon allein der Verlauf einer solchen Auseinandersetzung ist, sei an das Beispiel des preussisch-sachsischen Staatsvertrages von 1815 erinnert. In ihm wurde die Ausführung der Vertragsbestimmungen auf einige Monate festgesetzt. Sie wurde aber tatsachlich erst im Jahre 1859, somit erst nach 44 Jahren, zu Ende gebracht. Das wissenschaftliche Quellenmaterial ist zu brüchig und zu sparlich, um ein endgültiges Urteil über die Arbeiten der Archivver- waltnng zu fallen. Von positivem Wert sind die in der polnischen archivalischen Zeitschrift, dem amtlichen Organ „Archeion" veröffent- lichten Beitrage. Auch möchte ich hier auf den gediegenen, unter anderen auch dieses Thema berührenden Beitrag von Alesky Bachulski: Polnische Staatsarchive Archivalische Zeitschrift. 3 Folge, 4 Band, München 1928 S. 241 —261) hinweisen. Die Behandlung dieser Spezialfrage in der Presse steht dagegen nicht immer auf der Höhe. Ich möchte mir nur, als früherer Chef der polnischen Archivverwaltung,

Periodiekviewer Koninklijke Vereniging van Archivarissen

Nederlandsch Archievenblad | 1933 | | pagina 23