224 „Prasidium des Ministerrats leitete, in Betracht kommen, aber keiner von den Fachministem. Ein Fachmimster als Chef der interministeriellen Archivverwaltung konnte doch leicht in die heikle Lage geraten, seinen Ministerkollegen auf Grund des Archivdekrets in archivalischen Dingen Weisungen zu geben. Er wiirde dann Gefahr laufen, bei seinem gleichgestellten Kollegen anzustossen und seinen Willen nicht durchsetzen zu können. Der Drang nach Unabhangigkeit ist jedem Ressort angeboren. Es erscheint demnach psychologisch verstandlich, wenn ein grosses Staatsressort sich via facti iiber die zu Recht bestehenden Vorschriften hinwegsetzt und nach eigenem Ermessen handelt. Der Rang, den die kleine Archivverwaltung innerhalb der Gemeinschaft der grossen Staatsorgane einnimmt, kann ein solches Vorgehen nur begunstigen. Die Entwickelung des Archivwesens in Landern von alter staats- politischer Kultur weist abschreckende Beispiele auf, wie die Zuweisung des Archivwesens an einen Fachminister mit der Zeit zur Vernichtung der gesunden Idee einer einheitlichen und die Staatsfinanzen verhalt- nissmassig weniger belastenden Organisation geführt haf. Das polnische Archivdekret gliedert die Archivverwaltung einem Fachminister, nümlich dem Minister fiir Kultus und öffentlichen Unter- richt an. Ungerecht ware es jedoch, diese Anordnung den verdienst- lichen Verfassern des Dekrets Schuld zu geben. Der Vorgang erklart sich einfach daraus, dass in den Anfangstadien des staatlichen Auf- baues das Unterrichtsministerium gerade das bei weitem am besten ausgebildete Ressort war. Einzig aus diesem Grunde erschien dieses Mimsterium den Verfassern des Dekrets geeignet zu sein, die Archiv verwaltung in sich aufzunehmen. Aber sowohl die an der Redaktion des Archivdekrets beteiligten Beamten, wie auch die sonstigen Fach- manner und auch das weiter unten behandelte Kollegium des „Archi- vrats waren immer der Ansicht, dass die Archivverwaltung dem alle bachministerien vereinigenden Prasidium des Ministerrats anzu- gliedern sei. An nachhaltigen Bemiihungen mangelte es in dieser Beziehung nicht und wird auch in der Zukunft noch weniger mangein, um endlich das erstrebte Ziel zu erreichen und den Staatsarchiven eine stete und gedeihliche Entwickelung zu sichern. In diesem Zu- sammenhange sei noch folgendes erwdhnt. Im Anfange des Aufbaues des polnischen Staates bildete das früher preussische Gebiet provi sorisch ein besonderes Verwaltungsgebiet fiir sich. Die Gesamtver- waltung dieses Gebiets vereinigte in seiner Person der „Minister des früheren preussischen Anteils Die dortigen Einzelressorts wurden von Unterstaatssekretaren und Direktoren geleitet. In der von mir 1919 verfassten und von dem Minister des früheren preussischen 225 Anteils am 2, Februari 1920 bestatigten Verordnung wurde die Archivverwaltung, entsprechend den modernen Anforderungen, nicht einem der Einzelressorts, sondern dem Chef der Gesammtverwaltung des Gebiets, dem Minister zugewiesen. Bei der Vereinigung des Gebiets mit dem Staatsganzen am 1. januari 1922 wurde das dortige Archivwesen der Warschauer Abteilung für Staatsarchive und somit dem Chef des Unterrichtsressorts unterstellt. Durch das Archivdekret wurde ein besonderes Organs der „Ar- chivrat eingesetzt. Diese beratende Körperschaft besteht laut Gesetz aus zwölf durch den Minister für einen Zeitraum von fünf Jahren ernannten Mitgliedern, aus samtlichen Direktoren der Staatsarchive und aus Vertretern aller zentralen Oberbehörden. Diese Einrichtung ist nach österreichischem Vorbilde getroffen worden. Den Archivrat in Wien hatte man seinerzeit errichtet, um wenigstens auf diese Weise ein einheitliches, das Archivwesen des Kaiserstaates umfas- sendes Organ zu besitzen. Der Wiener Vorgang verdankte also seinen Entstehen der Tendenz nach einer zukünftigen Vereinheit- lichung der staatlichen Archivverwaltung. Ausserdem lag den Urhebern die Absicht nahe, die berechtigten Bestrebungen der Archive durch Einflussnahme bei hohen Staatsbehörden und parlamentarischen Kör- perschaften zu fordern. Bei dem italienischen Archivrat kommt gerade der letztere Zweck deutlich zum Ausdruck. Gehören ihm doch die glanzendsten Namen der historischen Wissenschaft, aber keine Ar- chivare an. Der polnische Archivrat war ein geeignetes Organ, um die Interressen der Archive wahrzunehmen und durch seine hohe Autoritat Schaden von der Archivverwaltung fern zu halten. Er hatte in dieser Beziehung sein Bestes beigetragen. Die vom Warschauer Archivrat auf periodischen Tagungen gefassten Beschlüsse erhielten ausnahmslos die Bestatigung des Ministers und erlangten hierdurch rechtsverbindliche Kraft. 2. Staatsarchive und B e h r d e n r e g i s t ra t u r e n. Die polnische Archivverwaltung steht, in Einklang mit dem Archivdekret, auf dem Standpunkt einer klaren Scheidung zwischen Archiven und Registraturen. Alle Staatsarchive sind nach dem Dekret der „Ab teilung für Staatsarchive" unmittelbar unterstellt. Als Registraturen dagegen gelten diejenigen Aktenbestande, die bei den einzelnen Staatsbehörden erwachsen sind und im Zusammenhange mit den Bedürfnissen der laufenden Verwaltung bei ihnen noch aufbewahrt werden. Diese Auffassung vertreten auch die Beschlüsse des Ar- chivrats. Das Dekret steht im direkten Gegensatz zu den im zarischen Russland üblichen Einrichtungen. Um diesen Gegensatz zu kenn-

Periodiekviewer Koninklijke Vereniging van Archivarissen

Nederlandsch Archievenblad | 1933 | | pagina 21