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I. Ein Gutachten des Kgl. Materialpriifungsamtes von
Gross-Lichterfelde iiber das Zapon- und Gelatineverfahren.
An den Prafekten der Vatikanischen Bibliothek
S. Hochwürden Herrn Pater Ehrle
Rom.
Zum Schreiben vom 17. Oktober 1908.
Gross-Lichterfelde West 3. Potsdamer Chaussee,
den 22. Dezember 1908.
Der Herr Minister hat sich damit einverstanden erklart, dass das
Amt sich schon jetzt, soweit dies auf Grand der vorliegenden allgemeinen
Erfahrungen und der hier genrachten besonderen Beobachtungen möglich
ist, iiber die Konservierung alter Handschriften aussert.
Bis jetzt werden für diesen Zweck zwei Verfahren angewendet, namlich:
a) die von Ew. Hochwiirden vorgeschlagene Behandlung mit Gelatine und
b) die von Stabsarzt Schill empfohlene Zaponierung.
Wenn dem Amt selbst die Aufgabe gestellt wiirde, besonders wert-
volle Handschriften gegen weiteren Verfall zu schützen und für Forschungs-
zwecke wieder benutzbar zu machen, so wiirde es sich zurzeit für das
Verfahren a entscheiden und zwar aus folgenden Griinden
Ueber das Verhalten der Gelatine zum Papier besitzen wir jahr-
hundertelange praktische Erfahrungenunsere alten Lumpenpapiere sind
ausschliesslich mit Tierleim beschreibbar gemacht worden, und diese Papiere
sind, wo sie sorgfaltig aufbewahrt wurden, zum grossen Teil in gutem
Zustand auf uns gekommen. Wir finden in unseren Archiven tierisch
geleimte Papiere, die trotz eines Alters von 300 bis 400 Jahren noch ein
auffallend gutes Aussehen zeigen und hiermit beweisen, dass Tierleim an
sich nicht schadlich auf das Papier einwirkt. Wenn andererseits im Laufe
der Jahrhunderte auch zahlreiche tierisch geleimte Papiere zu Grande
gegangen sind, so dürfte die Ursache hiervon nicht in direkter Einwirkung
des Tierleims zu suchen sein, sondern in anderen Umstanden, namentlich
in der Aufbewahrung an ungünstigen Orten, in mangelhafter Pflege o. a.
es ist ja bekannt, wieviel in dieser Hinsicht in früheren Zeiten gesündigt
worden ist.
Die chemischen und physikalischen Eigenschaften der sorgfaltig ge-
reinigten Gelatine lassen von vornherein eine direkte Schadigung des mit
ihr behandelten Papierkörpers nicht erwarten. Das Papier ist im Gegenteil
durch die Tierleimung gleichsam mit einer Haut überzogen, die bis zu
einem gewissen Grade auch noch in das Innere des Blattes hineinreicht
und die Fasern gegen die atmospharischen Einflüsse in hohem Masse
schützt, immer natürlich sachgemafse Aufbewahrung der Papiere in luftigen,
trockenen Raumen vorausgesetzt.
Die Wirkung der Gelatine beschrankt sich aber nicht nur hierauf,
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sie kommt in besonderer Weise auch noch dadurch zum Ausdruck, dass
sie das behandelte Blatt fester und dehnbarer, also widerstandsfahiger im
Gebrauch macht, als es vor der Behandlung gewesen ist.
Alle diese Umstande machen die Gelatine zur Konservierung von
Handschriften geeignet.
Einwande gegen die Gelatinebehandlung.
Gegen die Behandlung der Handschriften mit Gelatine sind von
verschiedenen Seiten Einwande erhoben worden, die im wesentlichen
darauf hinausgehen, dass
1. die Handschriften wahrend der Behandlung mit wasseriger Gelatine-
lösung weiter gelockert werden, und zwar in höherem Masse als
durch Zaponlösungen,
2. das ganze Verfahren umstandlicher ist, als das Zaponieren,
3. die mit Gelatine behandelten Stücke einen guten Nahrboden für
Pilze abgeben,
4. die gelatinierten Blatter in der Warme und bei Druck leicht
aneinander haften.
Der Einwand zu 1. hat nur Bedeutung für den Fall, dass bei der
Behandlung eines morschen Schriftstückes mit wasseriger Gelatinelösung
die nötige Vorsicht und Sorgfalt ausser acht gelassen wird. Werden
diese in genügendem Masse beobachtet, so lasst sich die vorübergehende
Lockerung des nassen Materials sehr wohl ohne Gefahrdung des behandelten
Schriftstückes überwinden, wie es die Praxis bereits gezeigt hat.
Der Einwand zu 2. ist zutreffender kann aber nicht ausschlaggebend
sein für die Auswahl des Verfahrens, denn hierfür ist allein die Eirwirkung
der benützten Stoffe auf die Handschriften ausschlaggebend und von diesem
Gesichtspunkt aus ist zurzeit noch dem Gelatineverfahren der Vorzug
zu geben.
Der Einwand zu 3. ist nur dann zutreffend, wenn die gelatinierten
Stücke in feuchten Raumen mit geringem Luftwechsel aufbewahrt oder
in noch feuchtem Zustande verpackt werden. Unter diesen Umstanden
wiirden sich aber wenn vielleicht auch weniger leicht auch auf
nicht gelatinierten und auch auf zaponierten Papieren Pilze ansiedeln.
Werden die gelatinierten Stücke in hellen, luftigen und trockenen
Raumen aufbewahrt, so liegt keine Gefahr der Zerstörung durch
Pilze vor.
Der unter 4. erwahnte Umstand, der unter ungünstigen ausseren
Verhaltnissen eintreten kann, lasst sich vielleicht dadurch vermeiden, dass
man die gelatinierten Blatter noch oberflachlich mit Alaunlösung behandelt.
Dadurch hartet sich die Gelatine etwas und die Blatter neigen dann nicht
mehr so leicht zum Zusammenkleben.