222 I. Ein Gutachten des Kgl. Materialpriifungsamtes von Gross-Lichterfelde iiber das Zapon- und Gelatineverfahren. An den Prafekten der Vatikanischen Bibliothek S. Hochwürden Herrn Pater Ehrle Rom. Zum Schreiben vom 17. Oktober 1908. Gross-Lichterfelde West 3. Potsdamer Chaussee, den 22. Dezember 1908. Der Herr Minister hat sich damit einverstanden erklart, dass das Amt sich schon jetzt, soweit dies auf Grand der vorliegenden allgemeinen Erfahrungen und der hier genrachten besonderen Beobachtungen möglich ist, iiber die Konservierung alter Handschriften aussert. Bis jetzt werden für diesen Zweck zwei Verfahren angewendet, namlich: a) die von Ew. Hochwiirden vorgeschlagene Behandlung mit Gelatine und b) die von Stabsarzt Schill empfohlene Zaponierung. Wenn dem Amt selbst die Aufgabe gestellt wiirde, besonders wert- volle Handschriften gegen weiteren Verfall zu schützen und für Forschungs- zwecke wieder benutzbar zu machen, so wiirde es sich zurzeit für das Verfahren a entscheiden und zwar aus folgenden Griinden Ueber das Verhalten der Gelatine zum Papier besitzen wir jahr- hundertelange praktische Erfahrungenunsere alten Lumpenpapiere sind ausschliesslich mit Tierleim beschreibbar gemacht worden, und diese Papiere sind, wo sie sorgfaltig aufbewahrt wurden, zum grossen Teil in gutem Zustand auf uns gekommen. Wir finden in unseren Archiven tierisch geleimte Papiere, die trotz eines Alters von 300 bis 400 Jahren noch ein auffallend gutes Aussehen zeigen und hiermit beweisen, dass Tierleim an sich nicht schadlich auf das Papier einwirkt. Wenn andererseits im Laufe der Jahrhunderte auch zahlreiche tierisch geleimte Papiere zu Grande gegangen sind, so dürfte die Ursache hiervon nicht in direkter Einwirkung des Tierleims zu suchen sein, sondern in anderen Umstanden, namentlich in der Aufbewahrung an ungünstigen Orten, in mangelhafter Pflege o. a. es ist ja bekannt, wieviel in dieser Hinsicht in früheren Zeiten gesündigt worden ist. Die chemischen und physikalischen Eigenschaften der sorgfaltig ge- reinigten Gelatine lassen von vornherein eine direkte Schadigung des mit ihr behandelten Papierkörpers nicht erwarten. Das Papier ist im Gegenteil durch die Tierleimung gleichsam mit einer Haut überzogen, die bis zu einem gewissen Grade auch noch in das Innere des Blattes hineinreicht und die Fasern gegen die atmospharischen Einflüsse in hohem Masse schützt, immer natürlich sachgemafse Aufbewahrung der Papiere in luftigen, trockenen Raumen vorausgesetzt. Die Wirkung der Gelatine beschrankt sich aber nicht nur hierauf, 223 sie kommt in besonderer Weise auch noch dadurch zum Ausdruck, dass sie das behandelte Blatt fester und dehnbarer, also widerstandsfahiger im Gebrauch macht, als es vor der Behandlung gewesen ist. Alle diese Umstande machen die Gelatine zur Konservierung von Handschriften geeignet. Einwande gegen die Gelatinebehandlung. Gegen die Behandlung der Handschriften mit Gelatine sind von verschiedenen Seiten Einwande erhoben worden, die im wesentlichen darauf hinausgehen, dass 1. die Handschriften wahrend der Behandlung mit wasseriger Gelatine- lösung weiter gelockert werden, und zwar in höherem Masse als durch Zaponlösungen, 2. das ganze Verfahren umstandlicher ist, als das Zaponieren, 3. die mit Gelatine behandelten Stücke einen guten Nahrboden für Pilze abgeben, 4. die gelatinierten Blatter in der Warme und bei Druck leicht aneinander haften. Der Einwand zu 1. hat nur Bedeutung für den Fall, dass bei der Behandlung eines morschen Schriftstückes mit wasseriger Gelatinelösung die nötige Vorsicht und Sorgfalt ausser acht gelassen wird. Werden diese in genügendem Masse beobachtet, so lasst sich die vorübergehende Lockerung des nassen Materials sehr wohl ohne Gefahrdung des behandelten Schriftstückes überwinden, wie es die Praxis bereits gezeigt hat. Der Einwand zu 2. ist zutreffender kann aber nicht ausschlaggebend sein für die Auswahl des Verfahrens, denn hierfür ist allein die Eirwirkung der benützten Stoffe auf die Handschriften ausschlaggebend und von diesem Gesichtspunkt aus ist zurzeit noch dem Gelatineverfahren der Vorzug zu geben. Der Einwand zu 3. ist nur dann zutreffend, wenn die gelatinierten Stücke in feuchten Raumen mit geringem Luftwechsel aufbewahrt oder in noch feuchtem Zustande verpackt werden. Unter diesen Umstanden wiirden sich aber wenn vielleicht auch weniger leicht auch auf nicht gelatinierten und auch auf zaponierten Papieren Pilze ansiedeln. Werden die gelatinierten Stücke in hellen, luftigen und trockenen Raumen aufbewahrt, so liegt keine Gefahr der Zerstörung durch Pilze vor. Der unter 4. erwahnte Umstand, der unter ungünstigen ausseren Verhaltnissen eintreten kann, lasst sich vielleicht dadurch vermeiden, dass man die gelatinierten Blatter noch oberflachlich mit Alaunlösung behandelt. Dadurch hartet sich die Gelatine etwas und die Blatter neigen dann nicht mehr so leicht zum Zusammenkleben.

Periodiekviewer Koninklijke Vereniging van Archivarissen

Nederlandsch Archievenblad | 1910 | | pagina 14