104 gelangen, am besten „den Zwecken, welchen es zu dienen hat", ent- sprechen wird. Vielleicht haben sich infolge dieser Auseinandersetzungen auch manche andere Archivare ihren Standpunkt hinsichtlich des Provenienzprinzips etwas klarer gemacht. Trifft dies zu, dann werde ich es nicht bereuen, zur Er- örterung des Gegenstandes angeregt zu haben, und deshalb bitte ich auch Herrn Dr. Vancsa es mir nicht übel zu nehmen, dasz ich die Aufmerk- samkeit auf die Stelle aus seinem Berichte über den Archivtag gelenkt habe." De uitgever van de Geschichtsblatter, Dr. Armin Tille, liet hierop onmiddellijk zijne nadere beschouwingen volgen. Zij luiden aldus „Da ich bereits im Nederlandseh Archievenblad 15. jahrgang (19061907), S. 159161, in aller Kürze meine Ansichten über das Provenienzprinzip und seine Zweckmaszigkeit ausgesprochen und auch die Falie erörtert hahe, in denen mir die strenge Durchführung desselben unzweckmaszig erscheint, glaube ich einer Auseinandersetzung dariiber an dieser Stelle überhoben zu sein. Ohne der weiteren Aussprache vorgreifen zu wollen, die ich ebenso wünsche wie Herr Wiersum, möchte ich nur auf zwei Einzelheiten eingehen, bezüglich deren die obigen Ausführungen möglicherweise zu falschen Folgerungen verleiten könnten. Erstens scheint mir ganz allgemein die Anschauung über das Verhaltnis, in dern die Registraturen zum Archiv stehen, einer Klarung zu bedürfen. Wenn das Wort „Archiv" auch recht oft für „alte Registratur" gebraucht wird, so musz man, um bei den hier zu erörternden Verhalt- nissen nicht undeutlich zu werden, dennoch beide begriffich scharf ausein- ander halten. Das Wesen des Provenienzprinzips besteht darin, dasz es die Registraturen, so wie sie im Geschaftsbetrieb entstanden sind, erhalten will und einen Zustand anstrebt, in dem ein modernes Archiv tatsachlich ein „Nebeneinander alter Registraturen" bildet, wie Wacker- nagel in der Einleitung zum Repertorium des Staatsarchivs Basel (Basel 1904), S. XLIII, wenn auch im Sinne einer Ablehnung des Prinzips, ganz richtig sagt. Grundsatzlich musz man zweifellos zwei verschiedene Arten der Anwendung des Provenienzprinzips unterscheidendie erste ist die von alters her übliche, die z. B. die Archivalien von zehn aufge- hobenen Klöstern, die heute in einem Staatsarchiv oder Stadtarchiv ruhen, als zehn verschiedene Depots betrachtet, die unter keinen Umstanden untereinander gewürfelt werden dürfendie zweite Art dagegen wird erst in neuerer Zeit gefordert, um sie handelt es sich im wesentlichen bei allen einschlagigen Erörterungen, und sie betrifft die innere Anordnung jedes einzelnen dieser Depots nach seiner Entstehung und Zusammenzet- zung. Um bei dem Beispiel eines beliebigen Klosterarchivs zu bleiben, gilt es also die abteiliche Registratur von der des Kapitels zu trennen und ebenso die Akten der Zentralgüterverwaltung von denen der einzelnen 105 grundherrschaftlichen Lokalverwaltungen. Gegen die zuletzt erwahnten Grundsatze allein ist im wesentlichen noch in neuerer Zeit gesündigt worden, wahrend man wohl niemals so töricht gewesen ist, in einem gröszeren Archiv den Versuch zu machen, die gesamten Bestande, oder auch nur die mittelalterlichen, nach irgendeinem einheitlichen Gesichtspunkte zu ordnen. Wo man bezüglich der Urkunden so verfahren ist und sie samtlich in eine einzige zeitliche Folge gebracht hat, da ist dies zwar grundsatzlich nicht zu billigen, hat aber auch manche Vorteile gewahrt und im ganzen nicht allzuviel geschadet. Aber in bezug auf die Akten lieszen sich irgendwelche einheitliche Gesichtspunkte, seien es nun zeitliche, örtliche oder sachliche, gar nicht finden, nach denen man eine Ordnung oder besser Unordnung hatte herstellen können. Voraussetzung ist und bleibt bei der Anwendung des Provenienzprinzipes beide Male, dasz im ersten Falie der Archivar die Herkunft der Archivalien bestimmt kennt, die bei vereinzelten alteren Stücken z. B. gar nicht immer ohne weiteres zu erkennen ist, und im zweiten, dasz tatsachlich eine organische Ordnung jemals bestanden hat und sich die Zusammengehörigkeit der einzelnen Aktenstücke auf Grund der alten Ordnungsnummern erkennen laszt. Trifft letzteres nicht zu oder sind nur ganz wenige Stiicke aus einer einst vermutlich sehr groszen Zahl von Aktenfaszikeln vorhanden, dann ist meines Erachtens gegen ein beliebiges anderes Orndnungsprinzip nichts einzuwenden. Wenn in Wirklichkeit ein moderner Archivar die Gruppierung mangels sicherer Grundlagen auf eigene Faust vornimmt, dann musz sich dieses Verhaltnis auch auszerlich sofort erkennen lassen. Es ist zwar denkbar, dasz ein modernes Archiv nur aus einer einzigen alten Registratur besteht, aber in der überwaltigenden Mehrzahl der Falie sind in einem Archiv v i e 1 e alte Registraturen vereinigt, wenn auch meist eine davon als Rückgrat dient. Lediglich die lezteren aber sind, jede für sich, organisch entstanden, nicht das Archiv. Wenn aus Gründen der Zweckmaszigkeit eine ganze abgeschlossene Registratur aus einem Archiv in ein anderes überführt wird, so laszt sich dagegen nicht das geringste einwenden, und ein solches Verfahren musz eingeschlagen werden, wenn etwa ein neues Archiv geschaffen wird, wie es 1900 in Danzig geschah denn in jenes neue Archiv müssen natürlich Teile des bisher für das Gebiet zustandigen Archivs aufgenommen werden. Das Provenienzprinzip wird durch eine solche Beraubung oder schlieszlich wohl gar Aufteilung eines Archivs nicht berührt, und diese selbst ist durchaus nichts Uner- hörtes. Unerhört ist und wohl einmütig von allen modernen Archivaren abge- lehnt wird lediglich das Aufteilen einer Registratur, wie es z. B. leider bei der des ehemaligen Reichskammergerichts zu Wetzlar und in vielen anderen Fallen geschehen ist; denn dort hatte eben der Geschaftsbetrieb des Gerichts diese ganz bestimmte Zusammensetzung der Prozeszakten

Periodiekviewer Koninklijke Vereniging van Archivarissen

Nederlandsch Archievenblad | 1907 | | pagina 14