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Omdat ik het in geenen deele eens was met den heer Vancsa, scheen
het mij wenschelijk nogmaals op de kwestie terug te komen. Ik antwoordde
hem daarom als volgt (Deutsche G e s c h i c h t s b I a 11 e rB VIII, S. 318):
„Nach dem Zugestandnis des Herrn Dr. Vancsa, dasz sein Bericht
tiber den sechsten deutschen Archivtag in Wien etwas flüchtig gefaszt
und daher undeutlich geworden ist, würde es unhöflich sein, dies nochmals
ausdriicklich zu betonen. Der subtile Unterschied, den er zwischen Einzahl
und Mehrzahl von Prinzip gemacht haben will, und mit dem er das Misz-
verstandnis aufzuklaren sucht, macht mir allerdings die Sache nicht deut-
licher. Wenn ich die Ausführungen des Archivdirektors Secher richtig
verstanden habe, verteidigte er grundsatzlich das Provenienzprinzip, wie
es jetzt in Danemark vollstandig durchgeführt ist. Er gab zwar zugleich
eine Ubersicht über die früheren Ordnungsprinzipien, die jedoch jetzt
alle abgetan sind und auf die die Bemerkung des Berichterstatters sich
also kaum beziehen konnte. Und wenn der Redner dann weiter über die
Herstellung von Handbüchern, die Anfertigung von Beamtenlisten usw.
sprach, so bezog sich dies nur auf einige praktische Folgen, die die
Anwendung des Prinzips verursacht, beriihrte aber die Hauptfrage, namlich
die nach der Tauglichkeit oder Untauglichkeit des Prinzips, überhaupt nicht.
Deswegen konnten diese Dinge auch nicht in Betracht kommen, wenn es
die Frage zu beantworten galt, ob sich das Provenienzprinzip auch in den
Archiven der Lander anwenden laszt, die nicht die „ganz spezifischen
Entwickelungsverhaltnisse, wie sie eben in Danemark gegeben sind", besitzen.
Was dann die Befolgung des Provenienzprinzips speziell in der öster-
reichischen Archivverwaltung betrifft, so gestehe ich gern zu, dasz auch
nach meinem Dafürhalten leicht Schwierigkeiten entstehen können, sei es
durch die haufigen Anderungen in der Behördenorganisation und den
Territorialgrenzen, sei es durch die Kompliziertheit des Verwaltungsapparats.
Nur will mir scheinen, dasz diese Schwierigkeiten sich auch bei strenger
Anwendung des Provenienzprinzips in den allermeisten Fallen überwinden
lassen, wenn einleitungsweise die Geschichte der Behörden und ihrer
Zustandigkeit beschrieben und im Inventar selber darauf verwiesen wird.
Letzteres wird sich auch bei Eingliederung der Archivalien kleinerer Unter-
behörden empfehlen, bei der Vancsa seinen Zweck durch „Zusammenziehung
nach gegenstandlichen Gesichtspunkten" erreichen will. Im ersten Fall
aber wird die ursprtingliche Organisation der Archive erhalten bleiben,
im letzteren die gesamte Masse der Archivalien ziemlich willkürlich durch-
einander geworfen werden.
Weiter will Vancsa auch „kleinere, namentlich urkundliche Archiv-
bestande, Bestande mit allzu bunter Provenienz" nicht der Ordnung nach
dem Provenienzprinzip unterwerfen, sie dagegen chronologisch beschreiben.
Dabei übersieht er aber, dasz ein Inventar und eine Regestenliste zwei
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verschiedene Sachen sind. Wie bunt die Provenienz der Archivbestande
auch sein mag, wenn sie nachzuweisen ist, so kann es nur nützlich sein,
die Samprlung danach aufzuteilen und zu beschreiben. Um den Interessen
des gegenwartigen Forschers entgegen zu kommen, kann dem Inventar
ein Regestenverzeichnis angefügl werden, wie es die Anleitung zum
Ordnen und Beschreiben von Archiven von Muller, Feith
und Fruin (Deutsche Ausgabe, Leipzig 1905) in den Paragraphen 72—77
vorschlagt.
Ein Satz in der Beweisführung Vancsas ist mir absolut unverstandlich.
Ich meine den, wo er sagt„Ja ich fürchte, dasz bei allzu strenger
Anwendung des Provenienzprinzips unsere heikelste österreichische Archiv-
frage, die Aufteilung des alten Hofkammerarchivs (jetzt Archiv des Reich-
finanzministeriums) unter die beiden Reichshalften, die man mit Recht in
Österreich mit aller Entschiedenheit verhindern will, zu unseren Ungunsten
entschieden werden könnte". Inwiefern die Ordnung eines Archivs, einerlei
nach welchem System, das Zusammenbleiben der Bestande gefahrden kann,
das begreife ich nicht. Wie würde man jemals das Aufteilen eines Archivs,
das doch immer ein organisches Ganzes ist, entschuldigen können mit dem
Hinweis auf das Prinzip, nach welchem es geordnet ist! Und dasz gerade
das Provenienzprinzip im besonderen dazu Veranlassung geben könnte,
das ist mir noch weniger verstandlich.
In der soeben angezogenen Anleitung heiszt es vielmehr in 10:
„Ein bereits abgeschlossenes Archiv ist nicht über zwei oder mehr Depots
zu verteilen" und in 11 sogar„Es empfiehlt sich, eine etwa schon
vorhandene Zersplitterung von Archiven wieder rückgangig zu machen,
wenn dies ohne erhebliche Bedenken geschehen kann". Wenn also jemals
das alte Flofkammerarchiv unter die beiden Reichshalften aufgeteilt werden
sollte, so wird man gewisz das arme Provenienzprinzip dafür nicht verant-
wortlich machen können.
Jetzt noch ein Wort über die Scheidung von Urkunden und Akten.
Meines Dafürhaltens ist hinsichtlich dieses Punktes auch jetzt noch das
Miszverstandnjs bei Vancsa nicht aufgehoben. Ganz bestimmt war es die
Absicht Sechers zu betonen, dasz das danische Archivwesen eine prinzipielle
Scheidung von Akten und Urkunden (Pergament- oder Papier-) durchaus
nicht kennt, vielmehr lediglich aus praktischen Gründen einige Pergament-
urkunden für sich aufbewahrt, in der Beschreibung aber auch
diese niemals von den Akten trennt.
Schlieszlich sagt Vancsa und dem stimme ich vollstandig bei
dasz jedes Archiv seine Besonderheiten besitzt, denen bei der Ordnung
der Bestande Rechnung getragen werden musz. Allein ich musz hinzufügen,
dasz meines Erachtens jedes Archiv, wenn in der Ordnung die durch
die Entstehung bedingten Besonderheiten recht deutlich zum Ausdruck