100 spezifische Entwickelungsverhaltnisse, wie sie eben in Danemark gegeben sind, voraussetzen", und sprach damit nicht etwa ein rein subjektives Urteil aus, sondern verlieh, wie es mir Pflicht eines Berichterstatters zu sein schien, dem Ausdruck, was viele meiner österreichischen Archivkollegen über Sechers Ausführungen geauszert hatten. Es konnte mir jedoch nicht in den Sinn kommen, mit diesen Worten mich gegen das Provenienzprinzip als solches, das übrigens erst jetzt, da Sechers Vortrag im Drucke vorliegt, aus seinen Ausführungen starker hervortritt, zu wendenschon deshalb nicht, weil man bei groszen Archiven schon aus rein praktischen Oründen das Provenienzprinzip befolgen musz und auch bei uns in Osterreich befolgt hat. Es entspricht das, wie ich glaube, auch einem anderen Grundsatze der Archivverwaltung, namlich dasz man ursprüngliche nnd insbesondere lange angewendete Ordnungen nicht ohne zwingende Grande umstoszen soil. Nur so ist es möglich, Bestande sowohl fremder Archive als auch der Registraturen dem Hauptarchive rasch anzugliedern, denn mit Recht hebt Secher hervor, dasz ein anderes Einordnen eine Unzahl von Arbeits- kraften oder Jahrzehnte, ja Jahrhunderte zur Durchführung erfordern würde. Wogegen ich mich gewendet habe und wir uns in Osterreich überhaupt wenden müszten, ist nur jene Verfolgung des Provenienzprinzipes bis zu seinen auszersten Ronsequenzen, wie sie in Danemark üblich ist, wo die Akten jeder Kommission und jedes Kontors als besondere Fonds aufgestellt werden. Hier hat man offenbar sehr einfache Verhaltnisse in der Verwal- tung vor sich, die sich seit Jahrhunderten einheitlich ohne viele Unter- brechungen und Umgestaltungen entwickelt haben, dazu eine frühzeitige Zentralisation des Archivwesensda liesz und laszt sich ein starres Prinzip leichter vollstandig durchführen. Man denke sich statt dessen die kompli- zierte sprunghafte Entwickelung der österreichischen Verwaltung, die Viel- heit, Vielgestaltigkeit und Wandelbarkeit unserer Behörden, zum Teil her- vorgerufen durch die Angliederung anderer Lander an die deutschen Stammlande! Wie oft werden im Laufe der Jahrhunderte neue Behörden geschaffen, die nach kurzer Dauer wieder eingehen, wie oft werden auf kurze Zeit Agenden der einen Behörde der anderen zugeteilt. Da empfiehlt sich nach meiner Ansicht die sachliche Einreihung nach der Haupteinteilung des Archives mehr als die Ausscheidung und gesonderte Aufstellung nach dem Provenienzprinzipe. Ja ich fürchte, dasz bei allzu strenger Anwendung des Provenienzprinzipes unsere heikelste österreichische Archivfrage, die Aufteilung des alten Hofkammerarchivs (jetzt Archiv des Reichfinanzminis- teriums) unter die beiden Reichshalften, die man mit Recht in Osterreich mit aller Entschiedenheit verhindern will, zu unseren Ungunsten entschieden werden könnte. Auch möchte ich diesem Prinzipe bei Eingliederung der Archivalien kleinerer Unterbehörden nicht unbedingt das Wort reden. Auch da wird Zusammenziehung nach gegenstandlichen Gesichtspunkten 101 für die Benutzu g praktischer sein. Bekannt ist ferner der auszerordentlich starke Wechsel, dem in Osterreich und ganz besonders in Niederösterreich die Landgerichtseinteilung unterworfen warZersplitterungen und Zusam- menlegungen waren an der Tagesordnung. Auch da wird der Archivar in vielen Fallen lieber nach sachlichen Gründen einigend eingreifen. Aus dem Gesagten geht aber auch hervor, dasz das Provenienzprinzip erst dort mit Glück einsetzen kann, wo eine Organisation uns entgegentritt, und dieser Zeitpunkt wird in verschiedenen Landern und auf verschiedenen Verwaltungsgebieten ganz verschieden sein. Inwieweit das Prinzip auf altere, dahinter zurückliegende Archivbestande angewendet werden kann, soli nicht von vornherein mit unbedingter Sicherheit entschieden werden. Kleinere, namentlich urkundliche Archivbestande, Bestande mit allzu bunter Provenienz sind nach meiner Meinung am besten chronologisch zu ordnen. An dieser Stelle noch ein Wort über den Punkt, dessenthalben ich bereits in diesen Blattern von Herrn Archivdirektor Secher eine Berichtigung erfahren habe, namlich hinsichtlich der Scheidung von Urkunden und Akten. Es scheint, dasz ich den Vortragenden tatsachlich miszverstanden habe, da er nur bezüglich der Papierurkunden meinte, dasz sie von den Akten nicht zu trennen waren. Aber das Miszverstandnis lag nahe, denn auch in dem gedruckten Vortrage ist bei der Zusammenfassung seiner Aufstellungen zu lessen: „2. Keine prinzipielle Scheidung von Urkunden und Akten". Wir können uns nun einmal nicht recht in Verhaltnisse hineindenken, wo, wie Secher mitteilte, sowohl der Begriff, als auch das Wort „Urkunde" ganzlich fehlt. Eine spezifisch danische Einrichtung ist es auch, dasz in diesem Staate die dienstlichen Schreiben nicht an das Ambt, sondern persönlich an den Beamten adressiert werden. Ich weisz nicht, ob dies überhaupt noch irgend- wo anders als in Danemark geschahjedenfals in Osterreich und den mir bekannten Gegenden Deutschlands nicht. Folglich, hat auch für uns die Erforschung und Feststellung der alten Beamtenlisten, so sehr auch bei uns in neuester Zeit die Verwaltungsgeschichte gepflegt und die Bedeutung der Schematismen erkannt worden ist, wenigstens für archivalische Zwecke nicht jene hervorragende Bedeutung wie in Danemark. Schon hat mittlerweile an anderer Stelle sich der Herausgeber dieser Zeitschrift über die Durchführung des Provenienzprinzipes in ahnlichem Sinne wie ich geauszert. Wir stimmen darin überein, dasz man sich bei modernen Verwaltungsarchiven schon aus praktischen Gründen für das Provenienzprinzip entscheiden wird, dasz aber durchaus nicht ein starres Festhalten des Prinzipes angezeigt isdenn jedes Archiv besitzt nach meiner Meinung seine Besonderheiten, sei es nach Entstehung, sei es nach den Zwecken, welchen es zu dienen hat, und diesen Besonderheiten musz bei der Ordnung seiner Bestande Rechnung getragen werden."

Periodiekviewer Koninklijke Vereniging van Archivarissen

Nederlandsch Archievenblad | 1907 | | pagina 12