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BEKANNTMACHUNG betreffend die akademische Vorbildung
und die Prüfung der Archiv-Aspiranten. Deutscher Reichs-
Anzeiger und Königlich Preussischer Staats-Anzeiger Nr. 85 vom
11 April 1894.)
I. Behufs zweckmassiger Vorbereitung auf den preussischen Staats-
Archivdienst werden die Aspiranten auf die Beachtung nacbstebender
Gesichtspunkte hingewiesen
1) Zum Verstandnisz des Wortinhalts der archivalischen Dokumente
bedarf es eingehender Yertrautbeit mit PalaographieDiplomatik und
Chronologiesowie ausreicbender Kenntnisse in den darin zumeist ge-
brauchten SprachenLateiniscbMittelhochdeutschMittelniederdeutsch
und Französisch.
2) Zur richtigen Auffassung und Yerwertbung des Sacbinhalts der Do
kumente gehort ferner die Kenntniss der Geschichte Deutschlands im
Mittelalter und in der Reformationszeitder Geschichte Brandenburg-
Preussens in alterer und neuerer Zeitder deutschen Territorialgeschichte
in Uebersicht und der mittelalterlichen Kunstgeschichte.
3) Aus dem Gebiete der Rechts- und Staatswissenschaften mussen
hinzutretenals allgemeine Einführung Encyclopadie des Rechts oder
Institutionen des Römischen Rechtsferner deutsche Staats- und Rechts-
geschichte, deutsches Staatsrecht, preussisches Yerwaltungsrecht und dessen
Geschichte, Kirchenrecht, Nationalökonomie und Pinanzwissenschaft.
4) Endlich ist dem Archivbeamten unentbehrlich das genaue Verstand-
niss der Archivwissenschaft und der praktischen Archivkunde.
5) Den Archiv-Aspiranten wird daher die Anhörung von Yorlesungen
über die zu 14 bezeichneten Disziplinen und die Theilnahme an Ue-
bungen aus dem Gebiete derselben empfohlen. Insbesondere ist es un-
erlasslichdass dieselben mit Erfolg mindestens zwei Semester einem
Seminar für die historischen Hilfswissenschaftenzwei Semester einem
historischenein Semester einem deutsch-philologischen Seminar als Mit-
glieder angehört und mindestens ein Semester an Uebungen über Archiv
kunde theilgenommen haben.
6) lm übrigen bleibt die Auswahl, sowie die Reihenfolge der Yor
lesungen dem Ermessen der Aspiranten überlassen.
7) An der Universitat Marburg ist ein Seminar für geschichtliche
Hilfswissenschaften mit der besonderen Aufgabe errichtet, bei seiner
Thatigkeit auf diesem Wissenschaftsgebiete vorzugsweise auf die Aus-
bildung von Archiv-Aspiranten Bedacht zu nehmen. Auch werden seitens
des Staats-Archivars des Marburger Staats-Archivs an der dortigen Uni
versitat Yorlesungen über Archivwissenschaft und praktische Uebungen
zur Vorbereitung auf den Archivdienst gehalten.
Es hat dies jedoch nicht den Zweck, das Studium an der Universitat
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Marburg für die Archiv-Aspiranten obligatorisch zu machen. Vielmehr
steht denselben die Wahl der Universitat innerhalb des Reichsgebietes frei.
8) Die Dauer der Studienzeit ist mindestens auf sechs Semester, wenn
irgend möglich aber auf sieben oder acht Semester zu bemessen.
II. Die Zulassung zum Archivdienste ist von der Ablegung einer Prü
fung abhangig. Dieselbe erfolgt nach Massgabe der von dem Prasidenten
des Staats-Ministeriums erlassenen, in der Anlage beigefügten Prüfungs-
ordnung vom heutigen Tage.
Berlin den 6 April 1894.
Der Prdsident Der Minister
des der geistlichen, Unterrichts- und
Staats-MinisteriumsMedizinal-Angelegenheiten,
Graf zu Eulenburg. Dr. Bosse.
Prüfungsordnung für die Archiv-Aspiranten.
1. Die Prüfung der Archiv-Aspiranten erfolgt durch die in Marburg
eingerichtete Prüfungskommission
2. Die Prüfungskommission besteht aus dem jeweiligen Staats-Ar-
chivar des dortigen Staats-Archivs und vier Professoren der Universitat,
welche vorzugsweise dem Kreise der Yertreter der Geschichte, der
Rechtswissenschaft, der historischen Hilfswissenschaften und der deutschen
Philologie zu entnebmen sind.
Die vier akademischen Mitglieder der Kommission werden von der
Archivverwaltung im Einvernehmen mit der Unterrichtsverwaltung auf drei
Jahre ernannt. Scheidet eines derselben wahrend dieser Zeit ausso wird
ein Ersatz für die Restzeit bestellt.
3. Der jeweilige Direktor der Staats-archive ist Ehrenvorsitzender
der Kommission. Er führt, wenn er anwesend ist, den Yorsitz, nimmt
die Aufsicht über die Geschaftsthatigkeit der Kommission wahr und hat
das Recht, jeder Zeit Berichte von derselben zu erfordern und sich ihre
Akten vorlegen zu lassen.
4. Pitr die regelmassige Geschaftsführung der Kommission wird von
der Archivverwaltung im Einvernehmen mit der Unterrichtsverwaltung
eines der akademischen Mitglieder zum Yorsitzenden bestellt. Der Vor-
sitzende entscheidet über die Zulassung der Kandidaten zur Prüfung, setzt
die Prüfungstermine an, leitet die Prüfungen, führt das Geschaftsjournal,
zeichnet die geschaftliche Korrespondenz und verwahrt die Akten der
Kommission.
5. Die Meldung zur Prüfung ist dem Yorsitzenden der Kommission
einzureichen.
Derselben sind beizufügen:
1) das Reifezeugniss eines deutschen humanistischen Gymnasiums,