sich zwar oftmals nur mit erheblichen Schwierigkeiten ermitteln lassen, daB sie sich aber mühelos formalisieren und in ein entsprechendes, auch für die Datenerfassung geeignetes Schema übertragen lassen. Bei dem zweiten Kom- plex, der Erschlieflung unter inhaltlich-sachlichen Gesichtspunkten, trifft dies in weitaus geringerem MaBe zu. Die inhaltlich-sachliche Erfassung eines audiovisuellen Mediums ist die zu- sammenfassende Beschreibung der Sachverhalte, die sich aus einer Tonfolge, aus einem Bild oder einer Bilderfolge bzw. einem Film ergeben. Wie intensiv und detailliert sie erfolgt, richtet sich ausschlieBlich nach dem Quellenwert, der dem Film-, Bild- oder Tontrager nach archivischen, geschichtswissen- schaftlichen und publizistischen Kriterien zukommt. Grundsatzlich ist, daB 'politisches' Geschehen und 'unpolitisches' Geschehen gleichbehandelt wer den und keine unterschiedliche Gewichtung erfahren, nicht zuletzt weil sonst die begründenden Elemente audiovisueller Medien unberticksichtigt blieben. In Ausnahmefallen - dies trifft speziell bei Bildern zu - ist ein Film-, Bild- oder Tontrager bereits durch seinen Titel ausreichend erschlossen. Im allgemeinen aber konzentriert sich die Erschliefiung unter inhaltlich-sachlichen Ge sichtspunkten auf Personen, auf Schauplatze und auf Ereignisse bzw. Zustan- de. Was den Bereich Personen betrifft, so ist es selbstverstandlich, daB so viele Einzelpersonen wie irgend möglich identifiziert werden und mit Amts- bzw. Berufsbezeichnung, Titel, Vornamen usw. aufgenommen werden. Auf Ein- zelheiten wird an dieser Stelle nicht eingegangen, da sie eher arbeits- technischer denn grundsatzlicher Natur sind. Auch anonyme Einzelpersonen, Gruppen, Massen u.a. sind aufzuführen. Insofern darf es also nicht heiBen 'Rede Hitlers in den Siemens-Werken Berlin am sondern richtig: 'Rede Hitlers vor der Belegschaft der Siemens-Werke Berlin am Bei Tontra- gern, auch beim Tonfilm, sollten AuBerungen im Originalton vollstandig auf genommen werden, ebenso pragnante Formulierungen und inhaltliche Ak- zentuierungen des Kommentars, wenn es sich unter arbeitsökonomischen Ge sichtspunkten vertreten laflt. Der Bereich Schauplatze kann kurz besprochen werden; hierzu zahlen bild- liche, filmische und akustische Darstellungen von Stadten und Orten, hierher gehören aber auch Landschaften, Fliisse, Berge, Seen oder einzelne Bauwer- ke, ebenso Raumlichkeiten wie Wohnungen, Zimmer, Küche, o.a. Die dritte Gruppe im Rahmen der inhaltlich-sachlichen ErschlieBung, Ereig nisse bzw. Zustande, stellen denjenigen ErschlieBungsbereich dar, der dem menschlichen Leben am nachsten kommt, denn er umfaBt das gesamte Han- deln und Wollen des Menschen, soweit es sich optisch oder akustisch abbilden laBt. Eine Begrenzung auf 'Handlung, Vorfall, Geschehen oder eine Ver- anstaltung'wie sie gelegentlich vorgenommen wird,19 bildet nur einen Bruch- teil des menschlichen Lebens und Wirkens, dessen Widerspiegelung die audio visuellen Quellen, wie gesagt, ihre Entstehung verdanken, und sie ist infolge- dessen auch nicht geeignet, die Forderung zu erfiillen, die anfangs gestellt wurde, namlich das politische und das unpolitische Leben gleichermaBen zu berücksichtigen. Was dieser Anspruch für die ErschlieBung bedeutet, soil an einem konkreten Beispiel erlautert werden, das aus der Fernsehbranche 52 stammt und deshalb weitgehend bekannt ist. Vor Jahren ware eine Produk- tion wie ein Werbefilm für eine Gardine mit der Goldkante nie als archivwür- dig bewertet worden. Nachdem sich aber die sog. 'anonyme Masse' als Ge- genstand der Geschichtswissenschaft behauptet hat, sind die Archive ver- pflichtet, die für ihre Erforschung erforderlichen Quellen verfügbar zu ma- chen, wobei sie gleichzeitig dem Anspruch gerecht werden, das gesamtgesell- schaftliche Leben zu dokumentieren. Da sich jedoch Fragen nach sozialen Ge- gebenheiten mit Hilfe schriftlicher Dokumente allein nicht beantworten lassen - die 'anonyme Masse' entbehrt meist der Schriftlichkeit -, müssen Archivare wie Historiker nach anderen Überlieferungen suchen. Hier liegt der eigentli- che Quellenwert audiovisueller Medien, denn sie sind in der Lage, durch die Wahl der Themen wie durch die inhaltliche sowie die optische und akustische Form der Prasentation Rückschlüsse auf die soziale Wirklichkeit zu gestatten, was vor allem für Propaganda- und Werbefilme gilt.20 In Bezug auf das ange- führte Beispiel bedeutet diese Feststellung, daB Marianne Koch als Werbetra- ger für die besagte Gardine im Film so gezeigt wird, wie sich der Fernsehzu- schauer in der Mitte der siebziger Jahre die vollkommene Frau vorstellte: zu- rückhaltende Eleganz, ein wenig mütterlich, ein wenig emanzipiert, alles in al lem gutbürgerlich. Marianne Koch verkörperte ein Idealbild, dem die Fern- sehzuschauerin nachzustreben bereit war und zu dessem Verwirklichung schlieBlich noch die Gardine mit der Goldkante gehorte - das war der Werbe- trick. DaB sich zu Beginn der achtziger Jahre dieses Idealbild gewandelt hat, geht daraus hervor, daB in letzter Zeit seltener Marianne Koch, haufiger dage gen ein Disco-girl die Rolle als Werbetrager für die Gardine mit der Goldkante übernommen hat. Die Masse der Fernsehzuschauer als Ausschnitt der 'anony- men Masse' überhaupt hat ihren gesellschaftlichen Standort verandert. Durch audiovisuelle Medien werden demnach Erkenntnisse vermittelt über die Zustande der Gesellschaft, auch wenn sie hier arg vereinfacht worden sind - Erkenntnisse, die mit Hilfe schriftlicher Zeugnisse kaum zu erlangen sind. Die archivarische ErschlieBung audiovisueller Quellen muB diese Erkennt- nismöglichkeiten berücksichtigen, sie muB Wege aufweisen, die dem Benutzer den Zugang ihnen vermitteln, indem sie die in ihnen enthaltenen Ereignisse und Zustande so genau wie möglich erfaflt. Unter diesem Gesichtspunkt ware der als Beispiel genannte Werbefilm - unter Anwendung des herkömmlichen Nominalstils - zu erschlieBen: 'Werbung durch Marianne Koch für Goldkan- ten-Gardinen in bürgerlichem Haushalt.' Allerdings kann man, wie schon angedeutet, mit einer noch so ausgefeilten inhaltlichen ErschlieBung dem eigentlichen Charakter eines audiovisuellen Dokumentes nicht gerecht werden; notwendig ist auch die Erfassung der op- tischen bzw. der akustischen Darstellungsform. Im archivischen Bildbereich ist dieses Erfordernis seit langem bekannt, und so hat auch Horst Romeyk in seinem schon zitierten Leitfaden von 'Brustbild', 'Halbfigur', 'Hüftbild' u.a. gesprochen,21 was in erweiterter Form auch auf die ErschlieBung von Film- dokumenten übertragen werden könnte. Geht man nicht vom Ergebnis des Aufnahmevorganges aus, sondern vom ProzeB der Herstellung einer Auf- nahme, so waren als Formen der optischen Darstellung anzugeben: die Ka- meraeinstellung (also etwa GroBaufnahme, Nahaufnahme u.a.), der Kame rawinkel (Froschperspektive, Vogelperspektieve u.a.), die Kamerabewegung 53

Periodiekviewer Koninklijke Vereniging van Archivarissen

Nederlandsch Archievenblad | 1984 | | pagina 27