8 Serien kennt und andererseits die daraus erhobenen Sachakten, die ihrerseits nach dem Muster der Sachaktenregistratur systematisch nach einem Aktenplan geordnet werden. Der eigenartige oesterreichische Registraturtypus ist nur genetisch zu erklaren, dann aber versteht er sich sehr leicht. Die Amtsbuch- und die Serienaktenregistratur haben in ihrer reichstep Entfaltung mit ihren zahlreichen Buch- oder Aktenserien und dazugehörigen Produkten niemals das gesamte Schriftgut einer Dienststelle zu organisieren vermocht. Es bleibt stets ein auf Serienweise nicht zu erfassender ungeordneter Rest; meist ist er sogar ein ansehnlicher, in kleineren Gemeinden oft der grössere Teil der Gesamtdokumentation, Schriftstücke, die sich eben nicht in die Serien und Produkte fiigen und deshalb ohne Ordnung blciben. Es handelt sich z.T. urn wertvolles Schriftgut. Dieses ist für den Archivar bedeu- tungsvoll, weil er bei einer Serienregistratur immer genötigt ist, einen Teil des Schriftgutes, der nie eine Ordnung gehabt hat, neu zu ordnen. Es mag hinzugefiigt werden, dass auch der organisierte Teil einer Amtsbuch- und Serienaktenregistratur mit starker Serienspaltung dem Archivar stets eine nicht einfache Ordnungs- und Verzeichnungsaufgabe bietet wahrend er die Sach aktenregistratur {wenigstens in der Theorie) geordnet und mit gültigem Ver- zeichnis übernimmt. Es finden sich Versuche der Amtsbuch- und Serienaktenkanzleien, innerhalb des unorganisierten Teiles einzelne Einheiten nach Betreffprinzip zu bilden; mit Prozessen und politischen Handeln fangt es sehr friih an. Auch das Korres- pondenzprinzip gelangt zur Anwendung, wenn es gerade sich so schickt. Uns Deutschen will auf den ersten Bliek eine Verwendung des Serien- prinzips zur Organisation moderner Schriftgutbewahrungen als unmöglich erscheinen. Und doch findet es noch allenthalben in der westlichen Welt Anwendung. Allerdings ist ein ganz anderer Verwaltungsstil die Voraussetzung. Die mittelalterliche Verwaltung ist vergleichsweise vorwiegend passiv: sie tritt in der Regel erst in Funktion, wenn ein Interessent ein untergebener Beamter oder ein Privater die Tatigkeit durch ein Gesuch auslöst. Diese ratigkeit zielt, zugespitzt ausgedriickt, nicht auf eine alctive umfassende Klarung der Verhaltnisse, sie begnligt sich vielmehr mit der Beurteilung der vom Petenten vorgebrachten Tatsachen. Es bedarf dazu keines Studiums früherer Vorgange. Jede Sache wird für sich behandelt, und es mag wohl vor kommen, dass dieselbe, in Abstanden zweimal vorgetragen, unterschiedlichen Bescheid erhalt. Jedes Schriftwechselpaar ist bei diesem Stil eine abgeschlossene Sache. Diese Schriftstücke zu organisieren ist dte Serienregistratur besser imstande als die Sachaktenregistratur. Auch in unseren heutigen deutschen Amtsbereichen gabe es noch mannigfache Einsatzmöglichkeit für diesen Registraturtyp. Gehen wir nun zur Sachaktenregistratur über. Wir haben eben erfahren, dass einzelne Sachakten für Prozesse und andere wichtige Handel schon in der mittelalterlichen Amtsbuch- und der Serienaktenreoistratur ent- stehen konnten. und die Sachaktenansatze führen in den Serienaktenregistra- turen in Oesterreicn ja zur Ausbildung eigener Sachakten-Registraturen, die aber doch wohl erst nach dem Vorbilde der eigenstandigen Sachaktenregistra- turen in Norddeutschland ihre endgültige Formung bekommen haben. Die eigentliche Sachaktenregistratur ist jedenfalls nicht aus der Amtsbuch- oder Serienaktenregistratur abzuleiten, sie entsteht aus eigener Wurzel. Wenn wir 9 mit Recht die Serienaktenregistratur aus dem Verwaltungsstil des Mittelalters in seiner passiven Haltung geboren sahen, dann dürfen wir annehmen, dass eine Wandlung dieses Stiles die Voraussetzung für eine neue Griindung gewesen sein muss. Tatsachlich ist doch wohl die aktive politische Tatigkeit, zu der die protestantischen deutschen Fürsten im 16. Jahrh. genötigt wurden, und die ebenfalls aktive Kammerverwaltung, die sie nun zur Ausstattung ihrer milita- rischen LInternehmungen nötig hatten, die Voraussetzung gewesen, dass die Akten in einer neuen Weise organisiert wurden. Fortan kann man sich nicht da- mit begniigen, eine Sache in sich abzumachen, man benötigt alle Vorgange, um sie wirklich zu erforschen und um die politische Zielsetzung planmassig zu erreichen. Eine Sache besteht jetzt nicht mehr aus einem Schriftwechselpaar, sondern aus ganzen Schriftwechselketten. Und die beginnen nicht mehr not- wendigerweise mit einer Eingabe eines untergeordneten Beamten oder eines Privatmannes, sondern die Verwaltung selbst greift oft motu proprio in die Dinge ein. Dementsprechend ist der Beginn eines Aktenbandes oft das Konzept eines Ausganges und nicht die Eingabe eines Petenten. Die einer aktiven Verwal tung adaquate Organisationsform des Schriftgutes in den Kanzleien ist die nach dem Sachbetreff. Jene vorher geschilderten technischen Erfindungen, die des Papiers, die Normung der Schriftstücke in Format und Beschriftungsweise in Absicht besserer Vereinigungsmöglichkeit und die Einrichtung des Konzep- tes als selbstandigen Schriftstiickes in Aktennorm, sind die Voraussetzung für die gedeihliche Entwicklung des Sachaktenwesens. Eine zweiseitige bilaterale Vereinigung von Eingiingen und Konzepten nach Sachprinzip findet sich bereits Mitte des 14. Jahrh. in Frankfurt a.M., allerdings sind die Schriftstücke noch nicht nach Aktenformat genormt. Die Normung in Format und Beschriftung und die Normung des Konzeptes machen eine neue Entwicklung, im Anfang des 16. Jahrh. beginnend, möglich. Allerdings gelingt es noch nicht, die gesamte Dokumentation einer Dienststelle, etwa einer fürstlichen Kanzlei, in Sachakten- form zu organisieren, nur wichtige Teile werden nach diesem Prinzip einge- richtet, für andere wird das Korrespondenzprinzip und auch wohl noch das alte Serienprinzip angewendet, obwohl sich alle drei nebeneinander in einer Schriftgutftihrung eigentlich ausschliessen. Deshalb ist auch eine allgemeine Ordnung nicht möglich. und noch heute ist ja an dem Archiv Philipps des Grossmiitigen in Marburg zu erkennen, wie sich diese Prinzipien zuweilen gegenseitig storend überschneiden und überlagern. Es bedurfte noch der Entwicklung und Erfahrung eines ganzen Jahrhunderts. bis es in der Mitte des 17. Jahrh. dem Berliner Registrator und Archivar Schön - beck gelang, die gesamte Dokumentation einer Dienststelle, des Geheimen Rates, nach Betreffprinzip zu organisieren. Allerdings war es ihm noch nicht möglich, Einzelsachakten zu bilden; er beschrankte sich darauf, sehr allgemeine Betreff- serien10) einzurichten, die jeweils eine grosse Zahl einzelner geschaftmassiger Zusammenhange aufzunehmen hatten. Zu beachten ist, dass Schönbecks Auf- teilung der Gesamtdokumentation des Geheimen Rats ganz offensichtlich nicht durch Serienspaltung aus der Serienreqistratur erwachsen ist, sondern aus einem neugefassten Gedanken heraus, der in der Aufstellung eines systema- lu) Schönbeck bildete eine „Betreffserienregistratur", die etwa dem Rubriekstelsel entsprieht.

Periodiekviewer Koninklijke Vereniging van Archivarissen

Nederlandsch Archievenblad | 1957 | | pagina 9