14 Die nachste Stufe der biirotechnischen Erfindungen besteht darin, dass man in derselben Registratur Schnellhefter und Stehordner nebeneinander benutzt, und zwar die Schnellhefter fiir die laufenden Sachen. Nach Erledigung wird der Schnellhefterinhalt in Stehordner umgebettet. was technisch allerdings schwierig ist, weil dabei leicht die Ordnung verloren gehen kann. Sofern man den Aktentitel auf den Schnellhefterdeckel geschrieben hatte, war der Hefter, der seines Inhaltes verlustig gegangen war, fiir weitere Verwendung unbrauch- bar geworden. Um dieses zu vermeiden, werden die Vorderdeckel fortgelassen, Vorsatzblatter an die Stelle gesetzt, die nunmehr den Titel aufnehmen und mit dem Inhalt des Schnellhefters zusammen in die Stehordner umgebettet werden. Nun kann der verbleibende Schnellhefter beliebig anderweitig ver- wendet werden. Um das technisch schwierige LImbetten zu erleichtern, hat die Firma Regis den Vierlochhefter eingesetzt, der es ermöglicht, dass Umbettungen vorgenommen werden können, ohne dass jemals der Inhalt von der Heftung befreit wird und in Unordnung geraten könnte. Auch diese Typen haben der alten Sachaktenstruktur keine grundsatzliche Veranderung gebracht. Uebrigens dringt von alien technischen Neuerungen vorerst nur die Durchschlagsakten- welt in die amtlichen Registraturen ein. Einen Strukturwandel bedeutet erst die nachste biirotechnische Erfindung, die sich logisch aus dem bisherigen Verlauf ergibt, die Einführung der „Schaltakten", wie ich sie nennen möchte. Absicht der Schaltakten ist, den Inhalt des Schnellhefters als Ganzes, ohne seinen Heftverband lösen zu müssen, dem Stehordner einfügen oder entnehmen zu können, also ohne Um- bettung mitsamt dem ganzen Schnellhefter. Es lasst sich beobachten, dass der Schnellhefter bald verkiimmert und bald nur noch aus dem Heftriicken besteht und weiterhin so reduziert wird, dass nur die nackte metallische Heftmechanik ohne jeden Deckelrest tibrig bleibt. Damit werden sehr erhebliche Kostenein- sparungen ermöglicht, aber der Inhalt wird nun nicht mehr durch einen Deckel oder Umschlag geschiitzt. Verschiedene Schaltmechaniken sind eingefiihrt worden, die einfachste ist die, dass man an den Rücken des Schnellhefters einen festen Rand setzt und ihn mit zwei Löchern versieht, so dass man mit ihrer Hilfe den ganzen Schnellhefter in den Stehordner einheften kann. Spater sind Federhaken und anderes erfunden worden, um das Oeffnen der Stehordner- mechanik zu eriibrigen. Was die Schalthefter von den bisherigen Schnellheftern unterscheidet ist der Umstand, dass sie nunmehr an beliebiger Stelle in die Stehordner eingeordnet werden können. Das ist gewiss ein gewaltiger Vorteil; dieses Einschalten erfiillt sicher einen Wunschtraum der alten Registratoren. In fast noch idealerer Weise wird das Schalten in der Hangeregistratur ermög licht, die die Akten hintereinander aufhangt und sich wie eine Kartei benutzen lasst. Aber sie benötigt sehr grossen Raum. Diesem vereinfachten Schalten geht eine optische Schaltsicherung durch die sogenannte „Systemregistratur" neben- her, d.h. die Stehordner oder die Hangeakten werden an den sichtbaren Teilen mit optischen Einrichtungen versehen, die schon aus grosser Entfernung er kennen lassen, ob ein Aktenband richtig eingeordnet ist oder nicht. Ganz ohne Zweifel ist durch die Schaltakten eine Entwicklung ermöglicht worden, die friiher an technischen Schwierigkeiten scheiterte. Es ist in der Sachaktenregistratur alten Stils nicht leicht gewesen, einzelne geschaftsmassige Zusammenhange, also Einzelsachakten, zu bilden, wenn diese jeweils nur aus einem Schriftwechselpaar bestehen; das wiirde eine Unzahl von Aktendeckeln 15 verbraucht und eine Unzahl von Eintragungen im Ak.tenverzeichnis nötig ge- macht haben. Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, war man genötigt, Betreff- serien grössere oder kleinere anzulegen, und darin jeweils eine mehr oder weniger grosse Zahl von kleinsten Einzelsachakten einzufangen. Das ist gewiss ein Kompromiss. Heut gestatten es die bis auf den metallischen Heft- mechanismus reduzierten Schaltakten durch ihre Billigkeit und leichte Hand- habung, solche Einzelsachakten in beliebiger Fiille anzulegen und sie in den Stehordnern in angemessener Weise suo loco unterzubringen. In der kompro- misslos aus Einzelsachakten bestehenden Schaltaktenregistratur findet der Ge- danke der Sachaktenregistratur seine vollkommenste Auspragung. Aber es zeigt sich schnell, dass nunmehr das Herz dieser Organisationsform, der Akten- plan, in Gefahr gerat. Sein Umfang nimmt mit unheimlicher Geschwindigkeit zu; schliesslich will es nicht mehr gelingen, den taglichen Anwuchs an Ein- zelsachen richtig einzutragen! Die Schaltaktenregistratur droht an ihrem Reich- turn zu ersticken. In dieser Not ist ein neuer Typus entwickelt worden: die Schaltaktenregistra tur, in deren Aktenplan die Akten selbst, die Einzelsachen namlich, nicht mehr verzeichnet sind. Der Plan endet mit der untersten Gruppenstufe. Deren Titel sind noch genannt. Die Titel der Einzelsachen werden lediglich vorn im Stehordner, der den Gruppentitel tragt, in einer Liste nach der Numerus- Currens-Methode aufgeführt. Sie beunruhigen nun den Aktenplan nicht mehr. Die Registraturen der Verwaltungsbehörden hatten vorerst an dieser stür- mischen Entwicklung zur Schaltregistratur, die sich in den Kanzleien der pri vaten Wirtschaft vollzog, keinen Anteil. Aber sie konnte auf die verantwort- lichen Manner in den Ministerien nicht ohne Eindruck bleiben, umsomehr, als man die oben gesc.hilderte Krise der althergebrachten Organisationsformen so hart zu spiiren bekam. Eine Reform des amtlichen Aktenwesens, eine B r o- reform, schien unvermeidlich. Eine sehr lebhafte Diskussion setzte schon vor dem ersten Weltkrieg und verstarkt in den 20er Jahren ein zwischen Reformern und Bewahrern des alten (Beide waren natürlich Vertreter des Sachaktenprinzips)Die Frage war: ob man Schnellhefter und Stehordner mit metallischer Heftung einführen solle, ob man die zentrale Registratur in kleinste Expedientenregistraturen auf- lösen müsse, ob man die Geschaftstagebücher abschaffen und durch Ordnungskartei, Einsenderkartei und Mitzeichnungsliste ersetzen könne, wie man durch Einführung von „Weglegesachen" die Akten von störenden unniitzen Papieren befreien könne. Alles das ist lebhaft diskutiert worden und bis heut urostritten geblieben. Jedes Ressort hat eine eigene Lösung gefunden. In einem Punkt ist ein grosser Erfolg zu verbuchen: Die Kunst des Akten- planes steht wieder in hohem Ansehen. Beste Köpfe arbeiten an Normakten- planen (Ressortstufen-, Teil-Ressort-, Ressort- und allgemeinen Einheits-Akten- planen); das hatte es in Deutschland schon im 18. Jahrh. gegeben. Die Re- gistraturordnung des Markgrafen von Baden v. J. 1801 ist bereits ein vollent- wickelter allgemeiner Einheitsaktenplan. Jetzt hat man erneut an diesem Pro blem gearbeitet und experimentiert. Es konnte nicht ausbleiben, dass Theore- tiker der Klassifikations-Methoden auch die Dezimalklassifikation ins Feld führten. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass deren Klassifikationsplan

Periodiekviewer Koninklijke Vereniging van Archivarissen

Nederlandsch Archievenblad | 1957 | | pagina 12