12 13 fiir die Restantenkontrolle gehabt: sowohl dem Korrespondenzpartner gegen über, d.h. zu erfahren, ob ich auf meine Anfragen auch Anfworten bekommen habe, als auch zur Ueberwachung der eigenen Referenten. Und ein nicht zu überschatzender Nutzen ist der, dass jedes Schriftwechselpaar der Dienststelle eine eigene, nur ihm zukommende besondere Nummer hat. Die Zitierung wird erleichtert und eine zweifelsfreie Identifizierung gesichert. Der klassischen preussisch-deutschen Sachaktenregistratur ist die der Amts- biicher und Serienakten in vieler Hinsicht unterlegen. Nicht nur beziiglich der Organisation der Schriftgutbewahrung. Ein ander er Verwaltunqsgeist hat hier einen unterschiedlichen Ausdruck gefunden. Zwei Weiten haben sich ge schieden. Also hatten wir in der preussisch-deutschen Sachaktenregistratur den Stein der Weisen gefunden? Wenn es tatsachlich fiir das ausgehende 18. und die erste Halfte des 19. Jahrh. seine Berechtigung haben mochte, fiir heute trifft dieses Wort nicht mehr zu. Bevor wir die Entwicklung weiter betrachten, möchte ich noch einen Sonder- typus der Sachaktenreaistratur betrachten, der heut iiberaus weit verbreitet ist und in verschiedenen Varianten auftritt. Das ist die Schriftgutorganisation. die ich Numerus-Currens-Registratur13) nennen möchte. In ihrem Ursprung leitet sie sich sowohl aus den Sachaktenansatzen der Serienakten wie aus der Sach aktenregistratur her. Sie beide begegnen sich hier und fiihren in gemeinsamer Entwicklung weiter. Die Numerus-Currens-Registratur besteht ausschliess- lich aus Sachakten; jeder Sachaktenband bekommt beim Entstehen, d.h. beim Emlaufen des ersten Schriftstiickes, das einen neuen Betreff ankiindiqt. eine Nummer, so werden alle Akten in der Reihenfolge ihres Anfalls durch eine fortlaufend gefiihrtc Nummer durchgezahlt. Diese Methode wird besonders gern dann angewandt, wenn die Sachakten, die so durchnummeriert werden, sich einer systematischen Klassifikation entziehen. weil sie qanz gleichgewichtig. d.h. nach einem „Parallelismus membrorum" eingerichtet sind. wie z.B. die Prozessakten cines Gerichtes oder die Akten, wie sie heut bei den öffentlichen Registern in Deutschland entstehen, und die der Notariate unserer Zeit. Es ware ein vergebliches Bemiihen, für Prozessakten oder fiir die Akten öffent- licher Reqister oder Notariate eine systematische Klassifikation des Sachakten- systems konstruieren zu wollen. Es gibt aber auch Numerus-Currens-Regi- straturen mit Akten, die nicht einen Parallelismus membrorum aufweisen, son- dern die tatsachlich. wie die der klassischen preussisch-deutschen Sachakten- registraturen, verschiedenartig und systematisch klassifizierbar waren. Auch bei solchen Akten lasst sich durchaus der Numerus Currens durchführen, allerdings muss dann in einem Verzeichnis, das systematisch nach Art eines Aktenplanes angelegt wird, nachgewiesen werden, unter welcher Nummer die einzelnen Sachakten zu finden sind. Ausserdem ist eine Liste nötig, die aus- weist, welche Nummer zuletzt belegt wurde. Die Numerus-Currens-Registra tur hat gegeniiber der systematisch geordneten Sachaktenregistratur den Vor- teil der absolut ökonomischen Lagerung, da Lticken nicht gelassen werden miissen, um zukiinftigen Zuwachs aufzunehmen. Ich habe die Zustande geschildert, die An fang des 2 0. Jhs. in Europa auf dem Gebiete der Schriftgutorganisation erreicht wurden. ls) „Chronologische rangschikking der dossiers". Es ist das „System der Danischen Kanzlei". Eine schwere Krise setzt ein. Die Amtsbuch- und Serienakten- sowie die Betreffserienregistraturen werden von ihr ergriffen und werden bis auf kleine Reservate verlassen, weil sie den Anforderungen der neuzeitlichen Ver- waltung und ihrem veranderten Stil nicht mehr geniigen. Allenthalben ist ein Uebergang auf die Sachaktenregistratur festzustellen. Aber auch diese selbst ist in dem Lande ihres Ursprungs, in Deutschland,. in eine tiefe Krise geraten, die zu schweren Erschütterungen geführt hat. Eine der Krisenursachen ist das Massenproblem, eine Folge des alles wissen und regeln wollenden totalen Versorgungs- und Ftirsorgestaates, dessen Doku- mentation dank der bürotechnischen Erfindungen der Schreibmaschine und der Vervielfaltigungsapparate nach Herzenslust zu vollem Perfektionismus wu- chern kann. Umorganisierungen des Verwaltungsapparates werden bei der von den Par- lamenten geförderten Kompetenzausweitung unvermeidlich und folgen einander dichtauf. Die Akten, deren Fülle die Organisationskunst ihrer Erzeuger zu Schanden macht, werden durc.h schlechtes Papier, rostende Metallhefter und verbleichende Anilinfarben ausserlich unansehnlich und verachtlich. Ihre Ver walter verlieren in gleichem Masse an Ansehen. Der Registraturberuf sinkt ab, mit ihm die alte Kunst der Aktenplans. Wahrend so die Sachaktenregistratur sich immer tiefer in eine Krise hinein- bewegte, gab es auf dem Felde der bürotechnischen Erfindungen erhebliche Neuerungen, von denen allerdings vorerst die Welt des Amtsaktenwesens noch nicht berührt wurde. Zuerst entstehen die Durchschlagakten; das Stenogramm (ebensowenig aufgehoben wie das Konzept des Mittelaltersund der Schreib- maschinendurchschlag verdrangen das Konzept. Es werden also die alten Kon- zeptakten jetzt von Durchschlagakten ersetzt. Für den Historiker ist das ein schmerzlicher Verlust, verliert er doch eine wichtige Quelle der Einsicht in das Zustandekommen eines Schriftstiickes. Bald oder wenig spater tritt der Schnellhefter auf, der anstelle der Faden- heftung einen Metallmechanismus setzt; die Heftung wird entweder durch eine Lochung oder durch eine Klemmung erzielt und ist sehr viel einfacher, als die Fadenheftung. Der Inhalt des Aktenbandes wird leicht beweglich; bequem kann man einzelne Schriftstücke an beliebiger Stelle entnehmen oder hinzufügen. Allerdings diirfte das bei Amtsakten vielleicht eher ein Nachteil als ein Vorteil sein. Jedenfalls können die Schnellhefter nicht mit der Soliditat der fadengehefteten Sachaktenbande alten Stils konkurrieren. Diese waren fast unverwiistlich und haben ihren Inhalt noch immer bestens gesichert. Der Schnellhefter ist mit metallischen Teilen behaftet, die trotz aller Ver- sicherungen der Hersteller-Firmen rosten; auch bedient er sich einer schlechten Holzpappe, die sehr bald in Verf all gerat; und schliesslich ist er mit Anilin farben gefarbt, deren Ansehen sehr schnell nachlasst. Die Einführung von Schnellheftern bedeutet noch keinen grundsatzlichen Wandel gegenüber der alten fadengehefteten Sachaktenregistratur. Die Flachlage bleibt wie bisher. Etwas anders ist es schon mit den Stehordnern, die eine buchmassige Auf- stellung gestatten und die leichte Entnahme eines jedes Bandes ohne Bewegung anderer érmöglichen. Die lesbaren Rückentitel machen die Aufstellung sehr übersichtlich, man findet die Dinge sehr viel leichter. Alles das sind evidente Vorteile denen aber auch Nachteile gegenüber stehen: die dicke Apparatur und die rostende Mèchanik sind lastige Begleiterscheinungen.

Periodiekviewer Koninklijke Vereniging van Archivarissen

Nederlandsch Archievenblad | 1957 | | pagina 11